40 Jahre NWKV - Sigrun Caspary
Interview Sigrun Caspary
Das Inrerview führte Malte Heinrichs
M: Heute ist Mittwoch der siebte Juli 2021. Ich sitze hier mit Sigrun Caspary. Vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast.
S: Sehr gerne.
M: Dann fangen wir direkt an. Frage eins: Seit wann betreibst du Kendo?
S: Seit Oktober 1988, also etwas über 30 Jahre.
M: Und wie kamst du damals dazu?
S: Ich habe in Japan angefangen. Ich war zu der Zeit wegen eines Auslandjahres in Tokyo. Eine französische Klassenkameradin, die Kendo machte, fragte mich, ob ich sie nicht vertreten könnte, einen Vortrag über mein Land in Shichibu, etwas außerhalb von Tokyo, zu halten. Ich habe mir da nichts weiter bei gedacht und bin dann mit jemandem, der sich im Nachhinein als Kendo-Lehrer entpuppte, dort hingefahren und habe den Vortrag vor der Feuerwehr gehalten. Das für sich war schon kurios. Der Herr, der mich dorthin begleitet hat, besaß in Tokyo ein kleines Machi-Dojo. Zusammen mit seinem Freund von der Feuerwehr, der ebenfalls Kendo-Lehrer war, fragte er mich, ob ich denn nicht Lust hätte, mit Kendo anzufangen. So habe ich dann angefangen. Als ich dann im April 1989 nach Bonn zurückgekommen bin, gab es da eine Kendogruppe, da bin ich dabei geblieben. Wäre ich woanders hingegangen, wo es kein Dojo gab, hätte ich womöglich nach meinem Japan-Aufenthlat aufgehört.
M: Welche anderen Sportarten hast du gemacht?
S: Eine ganze Menge. Als Jugendliche habe ich in der sechsten oder siebten Klasse mit Judo angefangen. Damit habe ich allerdings aufgehört, als ich auf einem Turnier gesehen habe, wie jemandem direkt vor mir bei einem Hebelgriff der Arm gebrochen wurde. Und dann habe ich noch zehn Jahre Segelfliegen betrieben. Neben Kendo habe ich auch noch Iaido und Jodo gemacht.
M: Dann unter Kendo-Lehrern, die nach Deutschland gekommen sind?
S: Ja, Jodo habe ich bei den Lehrgängen in Köln damals unter Shiiya-Sensei (Kendo Kyoshi 7. Dan, Jodo Hanshi 8. Dan) betrieben. Viele Kendo-Lehrer meinten damals zu mir, wenn du Kendo machst, solltest du auch wenigstens ein bisschen Iaido gemacht haben. Als ich dann von 1993-1997 in Japan gelebt habe, habe ich ein- bis zweimal in der Woche auch Iaido gemacht. Und fünf-, sechs-, siebenmal in der Woche Kendo…. Und nebenher noch ein bisschen promoviert.
M: Paradiesische Zeiten.
S: Ja! Ich habe das wirklich sehr genossen,
M: Das glaube ich! Als du dann in Deutschland mit Kendo angefangen hast, wie viele Leute, haben da Kendo gemacht?
S: Oh, insgesamt weiß ich das gar nicht. Ich habe dann ja in Bonn trainiert. Bekannte Namen von damals sind Monika Krämer, Alfred Hennemann, Norbert Geutner, Thomas Kutzer, Rene Führen und Willi Istas. Allerdings war die Fluktuation in der Unigruppe recht hoch. Am ersten Tag des Semesters waren 25 oder 30 Leute da. Nach dem ersten Training unter Alfred waren es dann nur noch halb so viele. Ich habe leider keine Zahlen mehr im Kopf. Ich wollte damals einfach Kendo machen und habe keine Leute gezählt.
M: Wer ist dein Vorbild im Kendo?
S: Da kommen mir vor allem zwei Namen in den Kopf. Ich hatte während meiner Zeit als Promotionsstipendiatin an der Hitotubashi Univerität in Tokyo (1993-97) die große Ehre, bei Nakakura Kiyoshi (Kendo Hanshi 9. Dan, Iaido Hanshi 9. Dan) trainieren zu dürfen und das jeden Dienstag. Er war damals um die 90 Jahre alt und war eine Kampfmaschine. Er hat sich auf einem Stuhl sitzend seine Rüstung montiert, ist sich aufs Shinai stützend aufgestanden und dann ging’s los. Dann hat er sämtliche Studierenden aus der Halle gescheucht. Tsuki links. Tsuki rechts. Alle sind rausgeflogen. Das war sehr beeindruckend. Der nächste große Lehrer ist Nishino Goro (Kendo Hanshi 8. Dan) aus Kochi. Er war auch häufiger in Köln. Darüber hinaus fallen mir noch etliche Lehrer ein, von denen ich viel gelernt habe. Auch dadurch, dass ich für sie übersetzt habe. Kobayashi Hideo (Kendo Hanshi 8. Dan), Sato Nariaki (Kendo Hanshi 8. Dan), Tamura Toru (Kendo Hanshi 8. Dan), Sekiyama Sensei, (Kendo Kyoshi 8. Dan), Yoneyama Sensei (Kendo Kyoshi 7. Dan), Kurita Sensei (Kendo Hanshi 8. Dan). Eben sehr viele Bundestrainer, die aus der Keishicho (Tokyo Metropolitan Police) kommen. Und natürlich als Frau Sato Rie (Kendo Kyoshi 7. Dan), die etwa zehn Jahre lang den Frauenlehrgang in Witten geleitet hat.
M: Und Leute, denen du Danke sagen möchtest?
S: Wie viel Zeit habe ich? Eigentlich alle, mit denen ich jemals trainiert habe! Während der Zeit in Köln hat mich Monika immer zum Keiko mitgenommen. Roland Niewerth, Rene Führen, Thomas Kutzer, Alfred Hennemann. Die ganze Clique. Alle Bundestrainer. Insbesondere der erste Bundestrainer, den ich miterlebt habe, Aoki Eiji (Kendo Kyoshi 7. Dan, Iaido Hanshi 8. Dan), der leider schon verstorben ist. Ohne ihn hätte ich vielleicht mit Kendo aufgehört. In Japan geht man im Allgemeinen mit Anfänger*innen eher behutsam um. Das war hier anders. Sobald man die Rüstung an hatte, hieß es sofort "ran an die Buletten“. Und dann gibt es noch einen Herren, dessen Geschichte erst vor sieben oder acht Jahren herausgekommen ist. Er war als Kamikaze-Pilot vorgesehen, sein Motor schon gestartet und in dem Moment, als er hätte starten sollen, wurde die Niederlage Japans verkündet. Er ist 94 Jahre alt. So alt sind wir beide zusammen nicht mal zusammen. Und dann noch Kendo zu betreiben…. Ohne Worte! Wenn ich an diese Menschen denke, fällt es mir nicht schwer zum Keiko zu gehen. Nicht hingehen haben die ja auch nicht gemacht! Das Dojo läuft nicht weg. Und im Dojo wartet immer jemand. Und irgendwo gibt es immer jemandem, der einem die eigenen Fehler aufzeigt. Ich freue mich immer, wenn ich zum Kendo gehen kann.
M: Du hast den Wittener Kendoverein auch gegründet, richtig?
S: Ja, 1997. Zu den Topzeiten waren wir mal um die 70, heute noch etwa 30, wovon etwa zwölf regelmäßig kommen.
M: Und wenn du mit deinem Ich von damals einmal reden könntest, welchen Tipp würdest du dir selbst geben für die Gründung eines Kendojos?
S: Am Anfang ist es schwer, da muss man erstmal jemanden in die Halle kriegen. Dafür Werbung zu machen ist Dank des Internets heute sicherlich einfacher. Dann sollte man ab und an jemanden einladen, der Dinge schlicht anders erklärt, und die Leute ermuntern auch mal woanders hinzugehen. Das war auch einer der Gründe, warum ich aus dem ersten Dojo, in dem ich in Japan war, ausgetreten bin. Da hat mich der Sensei immer ganz eifersüchtig gefragt, ob ich denn sonst noch wo war. Dann war ich in Deutschland mit den jährlich wechselnden Bundestrainern. Die haben mich dann wieder in Japan hierhin mitgenommen, dorthin eingeladen. Da lernt man Kendo einfach sehr breit kennen. Man sieht es denjenigen an, die immer nur bei einer Person gelernt haben. Als ich damals das Dojo aufgemacht habe, hatte ich den 3. Dan und war in der Nationalmannschaft. Da hatte ich ein gewisses Selbstbewusstsein, auch etwas vermitteln zu können. Ich weiß allerdings nicht, ob ich das heute nochmal machen würde. Was ich gerne anders gemacht hätte, wäre eine zweite Trainingseinheit in der Woche zu ermöglichen. Ohne die Unterstützung anderer und jede Menge Herzblut ist es eigentlich nicht machbar, so etwas aufzubauen. Und Demut. Demut ist ein Wort, das Kendo einem beibringt. Man kann mit allen trainieren. Das sieht manch einer vielleicht anders und natürlich gibt es Leute, mit denen man auch mal weniger gerne Kendo macht, aber im Prinzip ist jedes Gegenüber wertvoll. Auch Verlieren ist nicht so schön, aber da muss man lernen mit umzugehen. Das meine ich mit Demut. Man wird nur weiterkommen, wenn man sich selbst immer wieder motiviert und andere mitnimmt. Deshalb halte ich es auch für so wichtig und wertvoll, dass wir diese 40 Jahre NWKV in irgendeiner Form begehen. Da gibt es nämlich ganz viele Menschen, die das erst möglich gemacht haben. Ohne das Engagement weniger könnte die große Mehrheit nicht trainieren.
M: Und was würdest du gerne jungen Kendoka mitgeben?
S: Guckt euch ein bisschen an, was die Alten machen. Nicht zu viel, weil die so feste hauen. Aber die haben über viele Jahre trainiert und machen es weiter. Die haben alle ihre Geschichte. Das fand ich immer sehr faszinierend, dass man Kendo so lange machen kann. Und manchmal hat man so ein Erlebnis, wo man erst merkt, wie wichtig es einem ist. Es ist halt auch einfach eine schöne Gemeinschaft. Als ich 1998 mal nach Taiwan geflogen bin und vorher den Verband angefragt hatte, ob ich da trainieren könne, wurde ich vom Flughafen abgeholt, zur Halle gebracht und bekam direkt zwei Flaggen in die Hand gedrückt. Man ist sofort willkommen, wenn man ins Dojo kommt. Man ist immer ein bisschen zuhause, wenn man in die Halle kommt. Egal, wo das ist. Auch in der hintersten Provinz. Die Leute machen vielleicht nicht das beste Kendo, sind aber alle nette Menschen.
M: Okay! Möchtest du sonst noch etwas loswerden?
S: Eventuell sollte sich der NWKV überlegen, ein paar Ehrungen auszusprechen. Da gibt es schon einige Personen, die sich sehr um den Verband verdient gemacht haben. Und natürlich ist es ganz wichtig, die Stafette weiterzugeben und die Jugend zu motivieren!
M: Vielen Dank für das Interview!
S: Dankeschön!
Anmerkung: Das Interview fand vor Sigruns Wahl zur Vorsitzenden des NWKV und der EKC 2022 in Frankfurt a. M. statt.